Pinnacle Ridge: Haben einige Webseiten versehentlich falsch getestet?
Am letzten Donnerstag war es endlich so weit, die überarbeitete Version des AMD Ryzen wurde offiziell vorgestellt. Mit den Modellen Ryzen 7 2700X, Ryzen 7 2700, Ryzen 5 2600X und Ryzen 5 2600 wurden vier Varianten des “Pinnacle Ridge” in den Markt entlassen. Dank zielgerichteter Verbesserungen bei der Herstellung, der Cache-Latenz und bei der Turbo-Funktion ernteten die neuen CPUs fast durchgehend Lob von den Testern, sowohl was die Verbesserung gegenüber dem Vorgänger “Summit Ridge” betrifft, als auch gegenüber den Gegenspielern aus dem Intel-Lager.
Und dennoch könnte es sein, dass einige Redaktionen den Pinnacle Ridge versehentlich falsch getestet und damit sein volles Potenzial nicht freigesetzt haben. Das Thema hat Anandtech ins Rollen gebracht, die zunächst mit falschen Einstellungen getestet und sich gewundert haben, weshalb sich die Aussagen des AMD-Marketings und die gemessenen Frequenzverläufe derart unterscheiden. Im Detail geht es dabei um das neue Feature Precision Boost 2, das die Taktfrequenz bei Nutzung von mehr als 2 Kernen nicht schlagartig auf den All-Core-Turbo reduziert, sondern feinkörniger senken soll, was insbesondere im Teillast-Bereich und bei Software, die mehr als zwei Kerne aber weniger als 8 Kerne nutzt (z.B. viele Spiele), deutliche Vorteile bringen soll.
Das Versehen hat seinen Ursprung bei der Vorstellung der Intel “Coffee Lake”-Prozessoren Ende letzten Jahres. Damals implementierten viele Mainboard-Hersteller eine Option namens Multi-Core Enhancement. Aktivierte man diese Funktion (bei einigen Mainboards war sie sogar standardmäßig aktiviert) ignoriert der Prozessor sein TDP-Limit und taktet durchgehend auf seinem 1‑Kern-Turbo. Ebenso wurde ignoriert, dass AVX-Befehle deutlich mehr Strom verbrauchen und daher der Takt reduziert werden muss. Dank dieser “Werksübertaktung” standen die “Coffee Lake”-Prozessoren bei den Leistungsmessungen deutlich besser da als sie waren, wenn der Tester nicht aufpasste. Allerdings flog der Schwindel schnell auf, da die Systeme so konfiguriert erheblich mehr Strom verbrauchten als sie sollten.
Von dieser Erfahrung sensibiliert stolperten die Tester bei Anandtech über eine Funktion im BIOS des AMD X470-Mainboards, die sich Core Performance Boost nennt. Im Glauben, dass es sich dabei um eine ähnliche Werks-OC-Funktion handeln könnte wie bei den Intel-Systemen, deaktivierten die Redakteure die Funktion zunächst einmal. Erst später erfuhren sie, dass es sich dabei um die Turbo-Funktion handelte und durch deaktivieren von CPB auch Precision Boost 2 deaktiviert wurde. Daher musste Anandtech die komplette Testreihe noch einmal machen; mit aktiviertem CPB:
A side note – despite the marketing name being called ‘Precision Boost 2’, the internal BIOS name is called ‘Core Performance Boost’. It sounds similar to Multi-Core Enhancement, which is a feature on some Intel motherboards designed to go above and beyond the turbo mechanism. However, this is just AMD’s standard PB2: disabling it will disable PB2. Initially we turned it off, thinking it was a motherboard manufacturer tool, only to throw away some testing because there is this odd disconnect between AMD’s engineers and AMD’s marketing.
Im Anschluss musste sich Anandtech in den Kommentaren seines Reviews anhören, dass der Ryzen 7 2700X in ihren Tests “zu” gut abgeschnitten habe, besser als in vielen anderen Tests. Daher wurde im Internet schnell das Gerücht geboren, dass viele andere Publikationen womöglich auch über die Funktion gestolpert sein und versehentlich ebenfalls ohne Precision Boost 2 getestet haben könnten.
Doch stimmt dieser Eindruck überhaupt, dass Pinnacle Ridge bei Anandtech besonders gut abgeschnitten hat? Unsere Partnerseite 3DCenter hat zahlreiche Launch-Reviews analysiert und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass der Ryzen 7 2700X bei Anandtech 111% der Anwendungsleistung eines Intel Core i7-8700K erreicht. Damit liegt der Wert in der Tat knapp über dem Durchschnitt von 107%, allerdings schnitt der Prozessor bei anderen Webseiten noch besser ab. Bei einigen dagegen fällt der 2700X erheblich ab, erreicht nur 101% oder gar nur 97% der Leistung eines i7-8700K. Hier könnte durchaus sein, dass die Redakteure versehentlich ohne Precision Boost 2 und damit ohne einem Keyfeature von Pinnacle Ridge getestet haben.
Auslöser der Irritationen ist die Unart, dass viele Funktionen im BIOS anders bezeichnet werden als im Marketing. Dabei ist Core Performance Boost (CPB) nicht neu. Bei den ASUS-Mainboards beispielsweise wird die Turbo-Funktion der AMD-Prozessoren schon lange so bezeichnet. Die Hardware-Virtualisierung AMD‑V wird im BIOS oft als SVM betitelt, Cool’n’-Quiet findet sich teils noch unter der alten Bezeichnung PowerNow! oder ganz allgemein als P‑States Control. Alte Hardware-Hasen wissen das, aber Kunden, die nicht so tief in der Materie stecken, werden durch die abweichenden Bezeichnungen natürlich verwirrt, was nicht sein müsste, schließlich ist die Thematik auch so schon komplex genug.