Resteverwertung mit Sinn: AMD bringt Carrizo für Sockel FM2+

Unter all den News über brandaktuelle Produkte wie Zen 2, Radeon VII und Epyc Rome wäre eine bodenständige Neuerscheinung beinahe untergegangen. Einzelne Meldungen dazu gab es schon im Oktober 2018, aber Anfang Januar 2019 ist er nun auch in deutschen Online-Shops aufgetaucht: der “neue” AMD A8-7680 für den Sockel FM2+.
Eigentlich ist der Sockel FM2+ längst tot, abgelöst vom Sockel AM4, auf dem sich im Low-Cost-Segment “Bristol Ridge” und im höherwertigen Bereich “Raven Ridge” (APUs) sowie “Summit Ridge” und “Pinnacle Ridge” (CPUs) tummeln. Doch natürlich sind noch zahlreiche Systeme mit dem Ende 2013 eingeführten Sockel FM2+ in Betrieb. Dort schuften die Prozessoren der Serien “Trinity” und “Richland”, die ursprünglich für den Sockel FM2 gedacht waren und 2012 bzw. 2013 erschienen sind, oder die “echten” FM2+-Prozessoren auf Basis von “Kaveri” und “Godavari”, die 2014 bzw. 2015 auf den Markt kamen.
Trinity und Richland basieren auf der CPU-Architektur “Piledriver” und die GPU – sofern aktiviert – fußte noch auf VLIW4. Die Nachfolger Kaveri und Godavari dagegen hatten CPU-Sektionen auf Basis von “SteamrollerB” und die GPU war bereits GCN 2nd Gen alias GCN 1.1. Auf der Plattform FM2+ laufen all diese Prozessoren, auf FM2 (ohne Plus) nur Trinity und Richland. Beides sind DDR3-Plattformen, wohingegen der Nachfolger AM4 ausschließlich DDR4-RAM unterstützt.
Seit einiger Zeit bereits fällt auf, dass AMD noch sehr viele Chips aus dem Prä-Zen-Zeitalter auf Halde zu haben scheint, denn es tauchen vermehrt Lösungen auf dem Markt auf, die regelrecht nach “Restverwertung” schreien. Sei es die Bristol-Ridge-APU in einem waschechten HP ProBook, die jedoch auf einem Single-Channel-Stoney-Ridge-Mainboard montiert wurde, oder seien es die neuen Chromebooks von Acer wie HP, die mit Stoney Ridge bestückt sind, oder NAS-Systeme von QNAP, die mit RX-APUs auf Excavator-Basis an den Start gehen — all das, obwohl das Zen-Zeitalter nun bereits seit fast 2 Jahren währt.
Das jüngste Mitglied dieses Kuriositäten-Kabinetts ist nun der frisch aufgelegte AMD A8-7680 für den Sockel FM2+ auf Basis von “Carrizo”. Diese APU war im Jahr 2015 das erste SoC auf Basis der vierten Bulldozer-Version namens Excavator. Wir haben damals einen ausführlichen Artikel darüber verfasst. Die Grafikeinheit basiert auf GCN 3rd Gen alias GCN 1.2, ist also ein Verwandter von Tonga. Carrizo beherrscht sowohl DDR3 als auch DDR4, muss auf dem Sockel FM2+ jedoch logischerweise mit DDR3 umgehen.
Damit ist der AMD A8-7680 als klassische Drop-In-Upgrade-Lösung gedacht. Im Speziellen verfügt der A8-7680 über vier CPU-Kerne, eine Basistaktrate von 3,5 GHz mit Turbo bis 3,8 GHz, einer TDP-Einstufung in der 65-W-Klasse, 384 Shader-Einheiten bei 1029 MHz (resultierend in 790 GFLOPS Rechenleistung) und 2x 1 MiB L2-Cache. Auch eine Dual-Core-Variante namens AMD A6-7480 ist offenbar geplant, wenn auch erst in einigen Wochen (auf dem deutschen Markt) und mit deutlich weniger Sinn.
Natürlich wäre es töricht, im Jahr 2019 ein System mit AMD A8-7680 neu aufzubauen. Wer jedoch einen Rechner mit Sockel FM2+ besitzt, für den kann das Upgrade unter Umständen interessant sein, insbesondere wenn noch ein Trinity/Richland auf dem Mainboard steckt. Wie wir in unserem Artikel von 2015 zeigten, kann sich die vierte und letzte Bulldozer-Evolution namens “Excavator” gegenüber “Piledriver” (Bulldozer 2. Generation) je nach Anwendung durchaus positiv in Szene setzen. So hat – wie schon Steamroller – jedes Modul zwei Dekoder, die L1-Caches und diverse Buffer wurden vergrößert und mit höherer Assoziativität versehen, AVX2 und SMEP (Secure Mode Execution Protection) ergänzt. Dafür jedoch wurde der L2-Cache halbiert, was sich bei bestimmten Anwendungen negativ auswirken kann.
Interessant sind die Verbesserungen der Grafikeinheit, nicht nur gegenüber dem direkten Vorgänger Kaveri/Godavari, sondern insbesondere gegenüber Trinity/Richland. Letztere basieren noch auf VLIW4 und haben ergo seit 2015 kein Grafiktreiber-Update mehr erhalten. Mit jedem Feature-Update von Windows 10 entfernt sich das Betriebssystem damit weiter vom damaligen Stand der Technik. Zwar funktionieren auch die damaligen Treiber prinzipiell noch mit Windows 10 v1809, aber man darf nicht davon ausgehen, dass noch irgendjemand bei AMD oder Microsoft diese Kombination einer tieferen Validierung unterzieht. Abgesehen von möglicherweise veralteten Treibern ist “Carrizo” für FM2+-User dahingehend interessant, als dass seine Grafikeinheit nicht nur H.264, sondern auch H.265 hardwarebeschleunigt wiedergeben kann. Wer also häufiger mit aktuellen Videocodecs zu tun hat, z. B. auf einem HTPC, für den mag die frisch hinzugekommene Drop-In-Upgrademöglichkeit interessant sein.
Allerdings bedarf es hierzu der Mithilfe des Mainboard-Herstellers. Dieser muss ein BIOS für das im Extremfall fünfeinhalb Jahre alte Mainboard bereitstellen, welches den AGESA-Code CarrizoPI‑1.3.0.0 oder höher beinhaltet. Nur dann kann dieser Exot auf dem betagten Mainboard booten. Selbstverständlich muss das BIOS-Update eingespielt werden, bevor die CPU aufgerüstet wird. Hier sind Anwender klar im Vorteil, die ein Retail-Mainboard eines renommierten Herstellers im PC haben. Anwender mit Komplett-PCs dürften in der Regel leer ausgehen, denn die meisten OEMs scheren sich nicht viel um Jahre später erschienene Upgrade-Lösungen. Aber selbst bei einem Retail-Hersteller wie ASUS – bekannt für langjährigen BIOS-Support – ist es nicht gesagt, dass ein passendes BIOS dafür bereitsteht. So wurden zwar die Mainboards ASUS A68HM‑K und ASUS A68HM-Plus mit einem BIOS-Update bedacht, eigentlich höherwertige Platinen wie das ASUS A88XM-Plus jedoch nicht. Hier lohnt ein Blick in die Support-Abteilung des Mainboard-Herstellers oder im Zweifel eine Anfrage an den Support. Wer ganz mutig ist: Mit dem AMD Athlon X4 845 gibt es bereits seit 2016 eine Carrizo-CPU (ohne Grafikeinheit) für den Sockel FM2+. Da das Stepping identisch sein sollte, könnten Mainboards, die den AMD Athlon X4 845 unterstützen, auch den AMD A8-7680 und AMD A6-7480 unterstützen. In Stein gemeißelt ist das jedoch nicht.
Links zum Thema:
- AMDs Sockel AM4 debütiert im OEM-Bereich ()
- AMD kündigt Carrizo-Nachfolger Bristol Ridge für Juni an ()
- Athlon X4 845 kommt bei den Händlern an ()
- Athlon X4 835 — Hinweis auf einen weiteren Carrizo-Athlon ()
- Neuer AMD Athlon X4 845 mit Excavator-Kern schon gelistet ()
- AMD stellt neue R‑Serie-APUs auf Carrizo-Basis für Embedded-Markt vor ()
- Carrizo-Notebook-APUs für Profigeräte vorgestellt ()
- AMD stellt sechste APU-Generation “Carrizo” für Notebooks vor ()